Mit Wirkung ab dem 17. April 2020 wurde die COVID-19-Verordnung 2 betreffend die Beschäftigung von besonders gefährdeten Arbeitnehmern erneut geändert. Unverändert bleibt der Grundsatz, dass besonders gefährdete Arbeitnehmer in erster Linie ihre Arbeitsleistung aus dem Homeoffice erbringen müssen. Die Arbeitgeberin muss dazu die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen ergreifen, um die Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen.
Wenn die Arbeitsleistung nicht von zu Hause aus erbracht werden kann, gilt neu, dass die Arbeitgeberin betroffenen Mitarbeitenden eine gleichwertige Ersatzarbeit bei gleichbleibendem Lohn zu weisen muss, die von zu Hause aus erledigt werden kann (Art. 10c Abs. 2 COVID-19-Verordnung 2).
Ist die Anwesenheit im Betrieb ganz oder teilweise unabdingbar, können besonders gefährdete Personen nur unter folgenden Bedingungen am Arbeitsplatz vor Ort beschäftigt werden: Der Arbeitsplatz ist so ausgestaltet, dass jeder enge Kontakt mit anderen Personen ausgeschossen ist (Einhalten des Mindestabstands von zwei Metern zu jederzeit gewährleistet).
Wenn der enge Kontakt nicht vollständig und jederzeit vermieden werden kann, müssen angemessene Schutzmassnahmen ergriffen werden, welche sich nach dem STOP-Prinzip richten müssen: Substitution, technische Massnahmen, organisatorische Massnahmen, persönliche Schutzausrüstung.
Wenn die Arbeitsleistung in der angestammten Tätigkeit nicht unter Beachtung der Abstandsregel und des STOP-Prinzips organisiert werden kann, muss die Arbeitgeberin bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit vor Ort zuweisen, bei der die angemessenen Schutzmassnahmen (Abstandsregel bzw. STOP-Prinzip) eingehalten werden können (Art. 10c Abs. 4 COVID-19-Verordnung 2).
Gem. Art. 10c Abs. 5 COVID-19-Verordnung 2 müssen Betroffene vorgängig angehört werden. Sie dürfen zugewiesene Arbeiten ablehnen, wenn sie die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus trotz getroffener Schutzmassnahmen aus besonderen Gründen als zu hoch erachten und auf Verlangen ein ärztliches Attest vorlegen (Art. 10c Abs. 5 COVID-19-Verordnung 2).
Ist die Beschäftigung unter den beschriebenen Voraussetzungen nicht möglich oder lehnt der Mitarbeitende eine zugewiesene Arbeit berechtigterweise ab, so ist er von der Arbeitsleistung unter Lohnfortzahlung freigestellt (vgl. Art. 10c Abs. 7 COVID-19-Verordnung 2).
Neu enthält die COVID-19-Verorndung 2 im Anhang 6 eine Präzisierung dessen, wer als besonders gefährdete Person gilt, anhand medizinischer Kriterien. Das BAG führt den Anhang 6 laufend nach (gem. Art. 10b Abs. 3 und 4 der COVID-19-Verordnung 2).
Die Arbeitgeberin darf ein ärztliches Zeugnis verlangen (Art. 10c Abs. 8 COVID-19-Verordnung 2).
Was heisst diese Anpassung für die Praxis?
Zunächst wird nun im Anhang 6 differenzierter festgehalten, welche Vorerkrankungen eine besondere Gefährdung darstellen. In der Praxis führt dies dazu, dass Personen, welche bis anhin als besonders gefährdet galten, dies nun nicht mehr sind (z.B. gilt beim Bluthochdruck nur noch als besonders gefährdet, wer eine arterielle Hypertonie mit Endorganschaden oder einen Therapie-resistente arterielle Hypertonie hat).
Klar ist, dass es in Bezug auf besonders gefährdete Personen, die nicht im Homeoffice beschäftigt werden können, sichere und individuelle Lösungen braucht. Mitarbeitende und Arbeitgeberinnen sind vom Bund gehalten, sich flexibel zu zeigen und gemeinsam mögliche Lösungen auszuarbeiten.
Besonders gefährdete Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sollten ihre Arbeitgeberin unverzüglich darüber informieren, dass bei ihnen eine besondere Gefährdung vorliegt und anbieten, dies mittels einem Arztzeugnis zu belegen. Besonders gefährdete Personen haben einen rechtlichen Anspruch darauf, von den in der COVID-19-Verordnung 2 genannten Schutzanordnungen zu profitieren. Sie dürfen, wenn die Vorgaben der COVID-19-Verordnung 2 von der Arbeitgeberin nicht eingehalten werden, die Erbringung der Arbeitsleistung verweigern und haben dennoch Anspruch auf den vollen Lohn. Zu beachten ist aber, dass eine Arbeitsverweigerung nicht leichtfertig erfolgen sollte und es hierfür belegbare, möglichst objektive und sachliche Argumente braucht. Im Streitfall wird ein Gericht aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilen, ob die Arbeitsverweigerung rechtmässig war.
Eine subjektiv empfundene Angst vor einer Ansteckung reicht nicht aus, um die Arbeit zu verweigern, wenn die Arbeitgeberin in der Lage ist, die Einhaltung der Vorgaben der COVID-19-Verordnung 2 am Arbeitsplatz sicherzustellen. Ängstliche Mitarbeiter sollten nicht an den Arbeitsplatz gezwungen werden. Wollen Mitarbeitende aus Angst vor einer Ansteckung der Arbeit fernbleiben, obschon die Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleistet ist, empfehlen wir zu einer flexiblen individuellen Lösung, wie beispielsweise einem Ferienbezug oder unbezahltem Urlaub.
Ein ärztliches Zeugnis im Sinne von Art. 10c Abs. 8 COVID-19-Verordnung 2 bestätigt, dass eine Person aus medizinischer Sicht als besonders gefährdete Person im Sinne der COVID-19-Verordnung gilt. Eine besondere Gefährdung im Sinne der COVID-19-Verordnung 2 stellt im rechtlichen Sinne keine Arbeitsunfähigkeit dar, d.h. es handelt sich nicht um einen Fall von Krankheit, weshalb sich die Lohnfortzahlung unseres Erachtens nicht nach Art. 324a OR (=Lohnfortzahlung bei Krankheit) richtet und weshalb eine Krankentaggeldversicherung gestützt auf ein solches Arztzeugnis in der Regel auch keine Leistungen erbringt. Die Lohnfortzahlung für besonders gefährdete Personen, welche weder im Homeoffice noch am Arbeitsplatz unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben beschäftigt werden können, richtet sich nach Art. 324 OR (Annahmeverzug der Arbeitgeberin). Sie ist in vollem Umfang (100%) geschuldet und zeitlich unbeschränkt.
Erst wenn ein Arbeitnehmer effektiv erkrankt, an COVID-19 oder einer anderen Krankheit, und deshalb eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist die Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR bzw. den betrieblichen Regelungen geschuldet und würde eine Krankentaggeldversicherung Leistungen erbringen (bzw. unter Umständen auch die Unfallversicherung, falls es sich um einen Unfall oder eine Berufskrankheit handelt).
Praxistipp: Im Rahmen unserer Beratungstätigkeit haben wir festgestellt, dass viele unklare Arztzeugnisse im Umlauf sind, worin Empfehlungen abgegeben oder eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund von vorbestehenden medizinischen Diagnosen und der daraus resultierenden besonderen Gefährdung attestiert wird. Solche Arztzeugnisse stiften Verwirrung und führen unklare Situationen herbei. Wir empfehlen Arbeitgeberinnen, solche Arztzeugnisse zurückzuweisen und um eine Präzisierung zu bitten. Denn entweder liegt eine Arbeitsunfähigkeit vor im Sinne einer Krankheit oder eines Unfalls oder es liegt eine besondere Gefährdung im Sinne der COVID-19-Verordnung 2 vor. Bei Letzterem ist der Mitarbeiter normal arbeitsfähig, d.h. gesund, gilt jedoch im Hinblick auf eine Ansteckung mit dem Coronavirus als besonders gefährdet und geniesst deshalb besonderen Schutz gem. der COVID-19-Verordnung 2.
Kurzarbeit für besonders gefährdete Mitarbeiter (Stand: 20. April 2020): Gemäss Webseite des SECO (arbeit.swiss) haben besonders gefährdete Personen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn die Arbeitgeberin alles Zumutbare unternommen hat, die betroffenen Personen im Arbeitsprozess zu halten (z.B. Telearbeit), aber aufgrund der betrieblichen Gegebenheiten die gebotenen Vorsichtsmassnahmen nicht umgesetzt werden können. In diesem Fall ist es möglich, nur für einzelne Arbeitnehmende Kurzarbeit anzumelden und abzurechnen, sofern der wirtschaftlich bedingte Arbeitsausfall mindestens 10% der Arbeitsstunden ausmacht, die von den Arbeitnehmenden des Betriebs oder der Betriebsabteilung normalerweise insgesamt geleistet werden.
Beispiele zum STOP-Prinzip
Substitution: Ein Beispiel dafür wäre die Erbringung der Arbeitsleistung aus dem Homeoffice, wenn dies unmöglich ist, kann eine Substitutionsmassnahme am Arbeitsplatz geprüft werden (z.B. temporärer Umzug in ein abschliessbares Einzelbüro).
Technische Schutzmassnahmen: Zum Beispiel Installation von Plexiglastrennwänden.
Organisatorische Schutzmassnahmen können beispielsweise sein: Einführung von versetzen Schichten/Arbeitszeiten, um die Anzahl anwesender Personen am Arbeitsplatz zu reduzieren; Gestaffeltes Ansetzen von Mittagspausen, damit in den Pausenräumen die Mindestabstände eingehalten werden können; Regelmässige Reinigung und Desinfektion aller Arbeitsflächen und -geräte gemäss Hygienestandards; Massnahmen zur Raumlüftung, etc.
Persönliche Schutzausrüstung: In erster Linie Schutzmasken (nach hohem Standard, d.h. Masken, die den Träger vor einer Infektion schützen, Hygienemasken erfüllen die Anforderung als persönliche Schutzausrüstung unseres Erachtens nicht), Händedesinfektionsmittel, ggf. Schutzkittel, Brillen, etc.